Portrait, Sebastian R.
Es ist gut möglich, dass Sie zunächst nur ein sehr vages Bild im Kopf haben, wenn vom Guillain-Barré-Syndrom die Rede ist. Was liegt näher, als Google oder Wikipedia zu befragen? Ähnlich erging es auch unserem Rehabilitanden Sebastian, der von dieser vergleichsweise seltenen neurologischen Erkrankung betroffen war.
„Jeder musste diese Krankheit googlen.“
Angehörige von Sebastian R.
Alles begann kurz vor Ostern 2015. Ein Besuch bei der Familie stand an. „Ich hatte ein Kribbeln in Händen, Fingern und Füßen, habe mir dabei aber nichts weiter gedacht“, blickt Sebastian auf die ersten wahrnehmbaren Symptome der Erkrankung zurück. In den folgenden Tagen verschlechterte sich sein Zustand zusehends. Als er schließlich eines Nachts kaum noch laufen konnte, wurde am nächsten Morgen der Notarzt gerufen. Schließlich wurde Sebastian in den neurologischen Fachbereich eines Krankenhauses überwiesen. Dort wurden verschiedene Tests durchgeführt und schließlich die Diagnose Guillain-Barrö-Syndrom gestellt.
Eine unbekannte Krankheit
„Jeder musste es googlen“, meinte die Frau seines Vaters angesprochen auf die Reaktionen auf diese nicht ganz alltägliche Erkrankung. Konkret handelt es sich um eine entzündliche Veränderung des Rückenmarks, genauer der Nervenwurzeln. Wodurch diese wiederum ausgelöst wird, konnte nach wie vor nicht abschließend geklärt werden. Verschiedene Studien weisen jedoch darauf hin, dass bei vielen Rehabilitanden dem Einsetzen der Symptomatik des Guillain-Barrö-Syndroms vergleichsweise triviale Infektionen wie z. B. eine Grippe oder auch Magen-Darm-Erkrankungen vorausgingen. Das Immunsystem des Körpers „glaubt“ in der Folge weiterhin gegen Viren bzw. Bakterien vorzugehen, schädigt stattdessen, aufgrund struktureller Ähnlichkeiten, aber Nervenfasern und -wurzeln, was wiederum Lähmungserscheinungen hervorruft.
Wie in Sebastians Fall, sind zunächst die Beine betroffen. Innerhalb weniger Tage breiten sich die Lähmungen auf Arme, Rumpf und schließlich auch den Kopfbereich aus. In schwereren Verläufen können auch die Atem- und Schluckmuskulatur sowie das vegetative Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen werden. Herzrhythmusstörungen und die nicht mehr vorhandene Fähigkeit, eigenständig zu atmen, können die Betroffenen in akute Lebensgefahr bringen und erfordern dann intensivmedizinische Maßnahmen wie etwa maschinelle Beatmung. Wie bei vielen anderen neurologischen Krankheitsbildern auch, so liegt beim Guillain-Barrö-Syndrom eine große Bandbreite hinsichtlich der Intensität und des Verlaufs vor. Diese reicht von relativ leichten Bewegungseinschränkungen bis hin zu schweren Lähmungen weiter Partien des gesamten Körpers — bei vorhandenem Bewusstsein. „Direkt nach meiner Aufnahme im Krankenhaus saß ich im Rollstuhl, konnte mich aber immerhin noch bewegen und mir beispielsweise eigenständig die Zähne putzen. Schnell merkte ich aber, dass es nun auch mit der Handkoordination schwieriger wird. Als ich kurz darauf Probleme mit dem Atmen bekam, wurde ich auf die Intensivstation verlegt“, beschreibt der 41-jährige die drastische Verschlechterung seines Zustands innerhalb von nur fünf Tagen.
Akutbehandlung, Therapie und Rehabilitation
Die Akutversorgung umfasste zunächst die Schaffung eines Zugangs zur Luftröhre, um die Sauerstoffversorgung sicherzustellen. Zudem wurde sehr früh mit der Aufnahme einer medikamentösen Therapie begonnen. Die Präparate können das Fortschreiten der Lähmungserscheinungen zwar nicht verhindern, wirken sich aber günstig auf die Regenerationsdauer aus. Am 20. April wurde Sebastian dann auf die Intensivstation AWARE CARE der Klinik Bavaria verlegt, um möglichst bald mit der Frührehabilitation beginnen zu können. Anfangs
war hieran allerdings kaum zu denken, da sich sein Zustand nochmals verschlechterte. Die Lähmungen hatten nun nahezu den gesamten Körper ergriffen. Diese kritische Phase ging einher mit sehr hohem Fieber und anhaltenden und schweren Alpträumen. „Das war wirklich das Schlimmste! Ich konnte mich gar nicht mehr bewegen, hatte keinerlei Kontrolle, war permanent auf andere angewiesen — diese Lage war natürlich zentraler Inhalt dieser ungewöhnlich realen und zugleich verstörenden Träume“, so Sebastian weiter. Nachdem allerdings dieser Tiefpunkt durchschritten war, ging es stetig voran. Wesentliche Aspekte waren Schluck- und Sprechübungen mit den Logopäden/-innen. Sebastian sollte möglichst schnell das Sprechen mit einer Sprechkanüle erlernen, um wieder kommunizieren zu können.
Darüber hinaus spielte die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme eine Schlüsselrolle. Wurde zu Beginn der Mundraum noch mittels einem Wattestäbchen feucht gehalten, so konnte er nach der Gabe von Wassereis, das er nach eigener Auskunft mittlerweile nicht mehr sehen könne, dann pürierter Kost und schließlich wieder mit fester Nahrung versorgt werden. Einhergehend mit der langsamen Verbesserung des Gesamtzustandes und dem Nachlassen der Lähmungserscheinungen, wurde Sebastian Schritt für Schritt von der Beatmungsmaschine entwöhnt. Weitere zentrale Behandlungsformen waren die Physio- und Ergotherapie. Zwar klingen die Lähmungen der äußeren Extremitäten irgendwann wieder ab, dennoch galt es, Thrombosen und Kontrakturen zu verhindern. So wurden mit Sebastian zunächst passive Bewegungsübungen durchgeführt, um Funktionseinschränkungen seiner Gelenke zu unterbinden. Angesichts der langen Bettlägerigkeit und der schweren Lähmungserscheinungen kam es zudem zu einem Abbau der Muskulatur. Zur Wiederherstellung der Mobilität wurde diese in zunächst kleinen Schritten wieder aufgebaut. Beginnend mit dem Bettfahrrad, gewann er allmählich wieder an Bewegungsfähigkeit zurück. Viele, an sich selbstverständliche Handlungen wie Sitzen, Anziehen, Waschen mussten teilweise mühevoll neu erlernt werden. Doch Sebastian blieb geduldig und arbeitete hart an sich. Mitte Juni 2015 konnte er die Intensivpflegestation verlassen und seine Rehabilitation auf anderen Stationen des neurologischen Fachbereichs fortsetzen. Vielfältige physio-, ergo- und sporttherapeutische Anwendungen wie unser G-EO System®-Gangtrainer, die Wassergymnastik oder die Trainingstherapie trugen dazu bei, dass er mehr und mehr an Selbstständigkeit zurückgewann.
Am 2. September 2015 konnte Sebastian die Klinik Bavaria schließlich auf eigenen Beinen und ohne Gehhilfe nach insgesamt fünf Monate andauernder Erkrankung und Behandlung wieder verlassen. Auch wenn gerade beim Gehen noch gewisse Einschränkungen bestanden, so hoffen wir, dass er zu Hause weitere Fortschritte macht und all seine Ziele verwirklichen wird. Wir wünschen hierbei viel Erfolg und alles Gute!